In Abkehr von der seit jeher in Deutschland geübten Praxis hat der 5. Senat entschieden, dass eine „Einfuhr für das Unternehmen“ i. S. v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG nicht voraussetzt, dass der den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) als Vorsteuer begehrende Unternehmer im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand innehat. Auch die gegenüber dem Inhaber eines Zolllagers nach Art. 203, 204 ZK i. V. m. § 21 Abs. 2 UStG wegen zollrechtlicher Pflichtverletzungen festgesetzte sog. unregelmäßige Einfuhrumsatzsteuer kann bei diesem als Vorsteuer abzugsfähig sein.
Die Klägerin betrieb in den Streitjahren u. a. ein Zolllager Typ C. Neben der Lagerung der Waren übernahm sie für ihren Hauptkunden auch die zollrechtliche Abwicklung. Auftraggeber des Hauptkunden waren überwiegend Unternehmen aus Osteuropa, die die Waren i. d. R. an Abnehmer aus osteuropäischen Staaten weiterverkauften. An das Zolllagerverfahren schloss sich jeweils ein Versandverfahren bzw. Verfahren Carnet TIR an. Die Zollanmeldungen erfolgten mittels eines Zolldeklaranten und nicht im Namen und für Rechnung der Klägerin. Eigentum an den von ihr eingelagerten Waren erlangte die Klägerin nicht. Bei einer Prüfung stellte der Zoll Unregelmäßigkeiten fest. Wegen Entziehung von einfuhrabgabepflichtigen Waren aus der zollamtlichen Überwachung i. S. v. Art 203 Abs. 1 ZK und Verletzung von Pflichten aus der Inanspruchnahme des Zolllagerverfahrens i. S. v. Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK erließ das Hauptzollamt (HZA) verschiedene Einfuhrabgabenbescheide, mit denen es u. a. EUSt festsetzte. Die Bescheide ergingen (ausschließlich) an die Klägerin als Schuldnerin der Einfuhrabgaben. Klagen gegen die Einfuhrabgabenbescheide sind z. T. noch anhängig. EUSt entrichtete die Klägerin bislang nur in rechtskräftig durch Urteile festgesetzter Höhe.
Mit ihrer Umsatzsteuererklärung und ihrer Klage machte die Klägerin die festgesetzte EUSt als Vorsteuer geltend, deren Anerkennung der Beklagte verwehrte.
Der 5. Senat stellt in seinem Urteil vom 19.12.2012 (5 K 302/09) zunächst fest, das Recht zum Vorsteuerabzug setze entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG nicht voraus, dass die EUSt entrichtet ist. Hinreichend sei, dass sie festgesetzt worden sei, wobei der Senat ausdrücklich offen lässt, ob die EUSt tatsächlich entstanden ist. Soweit § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG die Entrichtung der EUSt voraussetze, stehe die Vorschrift nicht im Einklang mit Art. 168 Buchst. e und Art. 178 Buchst. e MwStSystRL und sei daher insoweit nicht anwendbar. In Abweichung von Abschn. 15.8 Abs. 4 UStAE und von der bisherigen, nach Ansicht des 5. Senats überholten Rechtsprechung kommt er zu dem Ergebnis, bei richtlinienkonformer Anwendung und Auslegung von § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG könne auch ein Zolllagerinhaber zum Vorsteuerabzug von EUSt berechtigt sein. Der Senat stellt heraus, dass die Entstehung der EUSt – anders als für USt nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG – nicht durch eine Lieferung der Gegenstände, sondern durch deren Einfuhr ausgelöst werde, nämlich der Verbringung eines Gegenstandes in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr eines Mitgliedstaats der Union. Dieser Vorgang sei unabhängig von der eigentümerähnlichen Verfügungsmacht, wie eine Lieferung sie voraussetze, und von einem entsprechenden Herrschaftswillen des Handelnden. Weil die Gegenstände, für deren Einfuhr die hier streitige Mehrwertsteuer geschuldet werde, für das Unternehmen bzw. für Zwecke der besteuerten Umsätze der Klägerin verwendet worden seien – ohne die eingeführten Gegenstände hätte sie keine Lagerleistungen erbringen können -, gebiete der Grundsatz der steuerlichen Neutralität der Mehrwertsteuer auch bei ihr die Abzugsfähigkeit.
Gegen das Urteil ist Revision eingelegt worden, Az. des BFH V R 8/13.
Quelle: FG Hamburg, Pressemitteilung vom 28.03.2013 zum Urteil 5 K 302/09 vom 19.12.2012 (nrkr – BFH-Az.: V R 8/13)